Mittwoch, 19. September 2012

Judentum, Traumata und Bürokratie


Es ist ein neues Jahr angebrochen, zumindest nach dem jüdischen Kalender. Das neue Jahr ist einer der höchsten Feiertage im jüdischen Jahreszyklus. Die jüdische Gemeinde in Germantown hat uns zu dem Gottesdienst heute eingeladen. Wir wurden am begrüßt und bekamen eine kurze Einführung und haben uns dann in den Gottesdienst, der schon ca. eine Stunde im Gang war, hineingesetzt. Es ist durchaus üblich, in der jüdischen Gemeinde dort, in den Gottesdienst zu kommen und zu gehen wie es einem passt. Man muss allerdings dazu sagen, dass der Gottesdienst heute auch um die vier Stunden ging. Normalerweise sind sie nicht so lang aber da heute ein hoher Feiertag war, ging dieser besonders lang. Der Gottesdienst an sich war lockerer als die christlichen Gottesdienste. Es wurde viel geredet, also in der Gemeinde, und die Atmosphäre war im Allgemeinen eher locker. Aber egal welche Religion, ich kann mit dem Gerede über Gott nichts anfangen. Ich verstehe was oberflächlich damit gemeint ist aber ich kann den Glauben an sich einfach nicht nachvollziehen. Es ist schwierig in Worte zu fassen, genauso wie es für einen gläubigen Menschen schwierig ist seinen Glauben zu begründen. Aus diesem „Unglauben“ heraus fühle ich mich in Gottesdiensten, egal welcher Art immer deplatziert. Abgesehen von den Quakern, weil bei diesen der Glauben nicht im Vordergrund stand, sondern das gemeinsam sein und allgemein die Gemeinschaft.
Nach dem Gottesdienst sind wir in das Hostel zurück gekehrt und haben dort einige organisatorische Sachen besprochen. Unter anderem wurden auch zwei Freiwilligen Vertreter gewählt, diese sollen ein Ansprechpartner für die Freiwilligen sein für Angelegenheiten die man nicht mit dem Landesbeauftragten besprechen will, und es wurde ein Solidaritätsfond gegründet. Dies hat man sich so vorzustellen: Die Freiwilligen zahlen alle Anfang des Jahres $20 in den Fond ein. Dieses Geld wird für Notfälle bereitgestellt. Ein Beispiel aus der ASF Geschichte:
 
Eine Freiwillige aus Chicago sollte mit dem Flieger zu einem Seminar kommen. Leider tobte zu dieser Zeit ein Hurrikan und ihr Flug wurde gestrichen. Weder die Fluggesellschaft noch ASF, wollten oder konnten die Kosten für einen alternativen Transport übernehmen. Deswegen bekam sie das Geld aus dem Fond und konnte so kommen ohne ihr gesamtes Monatsgehalt zu verlieren.
Damit dieser Fond funktioniert musste aber ein System erstellt werden. Nach einiger Diskussion und viel hin und her kamen wir zu folgender Lösung:
Es gibt einen Fondrat, bestehend aus Julius, mir (ich bin ebenfalls Kassenwart) und Sophia. Falls ein Notfall eintreten sollte werden wir kontaktiert und wir drei entscheiden, per Abstimmung, ob das Geld erteilt wird. Daraufhin teilen wir das sofort allen Freiwilligen mit und setzten ein Frist in der Einspruch erhoben werden kann. In dringenden Notfällen ist dies natürlich nicht der Fall. Falls Einspruch kommt wird per Mehrheitsentscheidung der gesamten Freiwilligen entschieden, ob das Geld ausgezahlt wird.
Wie ihr seht ein ausgeklügeltes und sehr Bürokratisches System (sehr deutsch). Aber nach vielen schmerzvollen Erfahrungen, dass bei Geld Freundschaften aufhören und sehr vielen schlechten Erfahrungen mit unkoordinierten Gruppen, erscheint mir dies eine sehr gute Lösung.

Zum Abschluss des Abends kam ein Psychotherapeut zu uns und hat über Holocaust Traumata und übertragene Holocaust Traumata gesprochen. Er hieß Dr. Ira Brenner. Es ist sehr erstaunlich und ermüdend wie bei dem Thema Holocaust immer dieselben Kommentare und Statements kommen. Wirklich spannend wurde es, so finde ich, als davon berichtete, wie Traumata weitergegeben werden.
Es sei häufig vorgekommen, dass die Holocaust Traumata nicht aufgearbeitet wurden und dass die Eltern auf Grund dieser nicht Aufarbeitung vieles von ihrem Frust und ihrem Leid an die Kinder weitergegeben haben und das eine sehr wirkungsvolle Methode dies zu behandeln, der Dialog mit Deutschen sei. Genau was wir hier also machen. Ebenfalls sehr erfrischend und angenehm empfand ich, dass er meinte, dass wir keinen Grund hätten uns zu entschuldigen, da wir nun die dritte Generation seien und dementsprechend nichts mehr direkt mit der Geschichte zu tun hätten. Er sagte außerdem, dass jedes Volk seine dunklen Ecken hat, die Deutschen aber ein besonders tiefes Trauma dadurch ausgelöst haben, dass sie als Dichter- und Denkervolk, platziert in der Mitte des kultivierten Europas, einen solchen Genozid begangen haben. Ein für mich neuer und durchaus beachtenswerter Gedanke.
Was mich aber besonders bestach war, dass er meiner Mutter so ähnelte. Von der Art Probleme zu beschreiben und anzugehen. Die Art zu reden und zu argumentieren und vor allem die Art wie man einen Menschen betrachtet. Erstaunlich wie sehr das Studium den Menschen beeinflusst.

So jetzt habe ich Hunger und gehe was essen. Viele liebe Grüße,

Zeno

3 Kommentare:

  1. Ja wir sehen leider alle die Welt durch eine Brille. Der Beruf gibt die Brille vor, diese brauchen wir aber um unsere "Aufgaben" erfüllen zu können. Wenn einem die Brille passt, macht es auch Spaß die Welt so zu sehen.

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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    1. Ich finde Psychologen haben eine sehr angenehme Sichtweise. Sie sind immer darauf bedacht alle mit ein zubeziehen und betrachten Probleme immer relativ objektiv.

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