Es ist ein neues Jahr angebrochen, zumindest nach dem
jüdischen Kalender. Das neue Jahr ist einer der höchsten Feiertage im jüdischen
Jahreszyklus. Die jüdische Gemeinde in Germantown hat uns zu dem Gottesdienst
heute eingeladen. Wir wurden am begrüßt und bekamen eine kurze Einführung und
haben uns dann in den Gottesdienst, der schon ca. eine Stunde im Gang war,
hineingesetzt. Es ist durchaus üblich, in der jüdischen Gemeinde dort, in den
Gottesdienst zu kommen und zu gehen wie es einem passt. Man muss allerdings
dazu sagen, dass der Gottesdienst heute auch um die vier Stunden ging.
Normalerweise sind sie nicht so lang aber da heute ein hoher Feiertag war, ging
dieser besonders lang. Der Gottesdienst an sich war lockerer als die
christlichen Gottesdienste. Es wurde viel geredet, also in der Gemeinde, und
die Atmosphäre war im Allgemeinen eher locker. Aber egal welche Religion, ich
kann mit dem Gerede über Gott nichts anfangen. Ich verstehe was oberflächlich
damit gemeint ist aber ich kann den Glauben an sich einfach nicht
nachvollziehen. Es ist schwierig in Worte zu fassen, genauso wie es für einen
gläubigen Menschen schwierig ist seinen Glauben zu begründen. Aus diesem
„Unglauben“ heraus fühle ich mich in Gottesdiensten, egal welcher Art immer
deplatziert. Abgesehen von den Quakern, weil bei diesen der Glauben nicht im
Vordergrund stand, sondern das gemeinsam sein und allgemein die Gemeinschaft.
Nach dem Gottesdienst sind wir in das Hostel zurück gekehrt
und haben dort einige organisatorische Sachen besprochen. Unter anderem wurden
auch zwei Freiwilligen Vertreter gewählt, diese sollen ein Ansprechpartner für
die Freiwilligen sein für Angelegenheiten die man nicht mit dem
Landesbeauftragten besprechen will, und es wurde ein Solidaritätsfond
gegründet. Dies hat man sich so vorzustellen: Die Freiwilligen zahlen alle
Anfang des Jahres $20 in den Fond ein. Dieses Geld wird für Notfälle
bereitgestellt. Ein Beispiel aus der ASF Geschichte:
Eine Freiwillige aus Chicago sollte mit dem Flieger zu einem
Seminar kommen. Leider tobte zu dieser Zeit ein Hurrikan und ihr Flug wurde
gestrichen. Weder die Fluggesellschaft noch ASF, wollten oder konnten die
Kosten für einen alternativen Transport übernehmen. Deswegen bekam sie das Geld
aus dem Fond und konnte so kommen ohne ihr gesamtes Monatsgehalt zu verlieren.
Damit dieser Fond funktioniert musste aber ein System
erstellt werden. Nach einiger Diskussion und viel hin und her kamen wir zu
folgender Lösung:
Es gibt einen Fondrat, bestehend aus Julius, mir (ich bin
ebenfalls Kassenwart) und Sophia. Falls ein Notfall eintreten sollte werden wir
kontaktiert und wir drei entscheiden, per Abstimmung, ob das Geld erteilt wird.
Daraufhin teilen wir das sofort allen Freiwilligen mit und setzten ein Frist in
der Einspruch erhoben werden kann. In dringenden Notfällen ist dies natürlich
nicht der Fall. Falls Einspruch kommt wird per Mehrheitsentscheidung der
gesamten Freiwilligen entschieden, ob das Geld ausgezahlt wird.
Wie ihr seht ein ausgeklügeltes und sehr Bürokratisches
System (sehr deutsch). Aber nach vielen schmerzvollen Erfahrungen, dass bei
Geld Freundschaften aufhören und sehr vielen schlechten Erfahrungen mit
unkoordinierten Gruppen, erscheint mir dies eine sehr gute Lösung.
Zum Abschluss des Abends kam ein Psychotherapeut zu uns und
hat über Holocaust Traumata und übertragene Holocaust Traumata gesprochen. Er
hieß Dr. Ira Brenner. Es ist sehr erstaunlich und ermüdend wie bei dem Thema
Holocaust immer dieselben Kommentare und Statements kommen. Wirklich spannend
wurde es, so finde ich, als davon berichtete, wie Traumata weitergegeben
werden.
Es sei häufig vorgekommen, dass die Holocaust Traumata nicht
aufgearbeitet wurden und dass die Eltern auf Grund dieser nicht Aufarbeitung
vieles von ihrem Frust und ihrem Leid an die Kinder weitergegeben haben und das
eine sehr wirkungsvolle Methode dies zu behandeln, der Dialog mit Deutschen
sei. Genau was wir hier also machen. Ebenfalls sehr erfrischend und angenehm
empfand ich, dass er meinte, dass wir keinen Grund hätten uns zu entschuldigen,
da wir nun die dritte Generation seien und dementsprechend nichts mehr direkt
mit der Geschichte zu tun hätten. Er sagte außerdem, dass jedes Volk seine
dunklen Ecken hat, die Deutschen aber ein besonders tiefes Trauma dadurch
ausgelöst haben, dass sie als Dichter- und Denkervolk, platziert in der Mitte
des kultivierten Europas, einen solchen Genozid begangen haben. Ein für mich
neuer und durchaus beachtenswerter Gedanke.
Was mich aber besonders bestach war, dass er meiner Mutter
so ähnelte. Von der Art Probleme zu beschreiben und anzugehen. Die Art zu reden
und zu argumentieren und vor allem die Art wie man einen Menschen betrachtet.
Erstaunlich wie sehr das Studium den Menschen beeinflusst.
So jetzt habe ich Hunger und gehe was essen. Viele liebe
Grüße,
Zeno
Ja wir sehen leider alle die Welt durch eine Brille. Der Beruf gibt die Brille vor, diese brauchen wir aber um unsere "Aufgaben" erfüllen zu können. Wenn einem die Brille passt, macht es auch Spaß die Welt so zu sehen.
AntwortenLöschenDieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenIch finde Psychologen haben eine sehr angenehme Sichtweise. Sie sind immer darauf bedacht alle mit ein zubeziehen und betrachten Probleme immer relativ objektiv.
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