Gestern war ein
grauer Tag in vielerlei Hinsicht. Am offensichtlichsten war das Wetter. Es war
unglaublich nebelig. In Philly ist es normal, dass sobald es einen
Wetterumschwung ins Warme gibt, man vor Luftfeuchtigkeit gerade mal den nächsten
Block seheh kann, nun gestern konnte man gerade so den eigenen Block erkennen. Es
war den ganzen Tag dämmrig, was praktisch jeden müde gemacht hat. Tatsächlich war
ich am Abend so mitgenommen, dass ich nicht ins Curtis gegangen bin. Angesichts
meiner leichten Erkältung wahrscheinlich auch gut so.
Viel weniger
offensichtlich war, die Stimmung meiner Klienten. Zwei haben absagen müssen,
aus gesundheitlichen Gründen und meine erste Klientin redet nicht wirklich viel
mit mir, sie will einfach nur, dass ich für sie einkaufe. Aber meine
Lieblingsdame war gestern eigenwillig. Die gute Dame ist 93 und lebt alleine. Sie
hat eine Tochjter, die ihre Mutter aber seit dreiβig Jahren ignoriert. Sie hat
als junges Mädchen keinen Highschoolabschluss gemacht, da das für jüdische Mädchen
damals ungebührlich war. Sie hat schnell geheiratet aber ihr ganzes Leben bei
der Navy gearbeitet. Erst nur als Sekretaerin aber dann hat die Navy ihr die
Abendschule gezahlt und sie hat Buchhaltung gelernt und dann lange als
Buchhalterin gearbeitet. Mit Mitte sechzig ist sie dann in ein Apartment in
Central City gezogen und hat zum ersten Mal realisiert, was in Central City
alles los ist. Sie war ihr Leben lang ein Go Getter. Was sie wollte hat sie
sich erarbeitet und beschafft. Sie ist überall hingelaufen egal wie weit es war
und hat sich auch immer selbst versorgt. Als junges Mädchen konnte sie sich
keine schicken Kleider leisten also hat sie sich selber genäht. Sie wollte
immer sehr alt werden und das Leben geniessen.
Nun jetzt will sie
nicht mehr alt werden. Jeden Tag wird sie schwächer sagt sie. Vor sechs Jahren
musste sie einen Rollator anschaffen, da sie ohne Hilfe nicht mehr laufen kann.
Ihre Beine werden jeden Tag steifer und ihre Kniee funktionieren nicht mehr
richtig, sie hat kein Gefühl mehr in den Händen und hört schlecht. Das mag
jetzt viel erscheinen aber sie ist geistig noch relativ fit. Natuerlich ist sie
kein junger frischer Hüpfer mehr aber sie kriegt grob mit was um sie herum
geschieht und denkt sich ihren Part. Heute kann sie nicht mehr gehen und sich
alles holen was sie will. Sie ist zu schwach. Sie ist auf die Hilfe von anderen
angewiesen. Ich bin der einzige der mit ihr aus dem Haus geht. Der Fahrstuhl schlieβt
zu schnell für sie und sie kommt nicht von ihrem Stockwerk weg und das obwohl
sie im zweiten Stock lebt. Aber trotz allem klagt sie nie. Sie stellt fest,
dass sie nicht mehr kann setzt das aber immer in Relation zu ihrem Alter. Manchmal
wird sie etwas ärgerlich, dass sie sich gewünscht hat so alt zu werden, weil
sie nicht wusste was auf sie zu kommt aber sie lebt von Tag zu Tag. Sie macht
eines nach dem anderen und kommt so voran, zwar langsam aber sie kriegt es
meistens hin.
Gestern,
vielleicht war es das Wetter, haben wir bei unserem Aufenthalt an der frischen
Luft über die Feiertage gesprochen und sie meinte nur, dass sie nicht planen will,
weil sie nicht weiss ob sie noch da ist. Sie meinte sie habe genug Zeit gehabt
und es wäre okay wenn sie gehen würde. Die Slebstverständlichkeit mit der sie
das gesagt hat, ohne Verbitterung ohne Agonie oder sonst etwas hat mich
erstaunt. Es war eine nüchterne Feststellung und ich brauchte nichts sagen, da
es keinerlei emotionalen Unterton hatte. Ich mag sie sehr gerne aber ich
verstehe ihren Punkt. Sie hat vieles gesehen, vieles verloren, sie ist nicht
mehr was sie war und das alles nimmt sie hin aber sie hat nichts mehr was sie
hier hält. Sie hat 93 Jahre lang ihr Leben gelebt und in gewisser Weise
abgeschlossen aber alles ohne Verbitterung. Sie hat eine Tochter auf die sie
stolz ist und dass obwohl der Kontakt abgebrochen ist.
Es ist
faszinierend wie unterschiedlich der Umgang mit Tod ist. Auf der Fahrt nach New
York kommt man in Camden an einem Feld vorbei an dem Blumen für jedes Gewaltopfer
niedergelegt werden. Es ist ein riesiges Feld voller Blüten und es hat mich
tief schockiert. Jede Blume steht für ein junges Leben, dass zerstört wurde, für
eine Familie die trauert. Dei Hoffnungen, Träume und Ziele dieser Menschen sind
mit ihnen getötet worden. Meine Klienten dagegen haben das alles hinter sich
gelassen. Die Familie weiss, dass in ihrem Alter der Tod nicht mehr weit ist. Sie
selber haben ihre Träume Hoffnungen und Ziele entweder gelebt oder aufgegeben. Es
ist erstaunlich wie sehr uns das Alter verändert.
Wie dem auch sei.
Ich muss jetzt arbeiten. Bis dann,
Zeno
Es kommt einfach der Zeitpunkt wo man vom Leben genug hat, ein richtiger Überdruss entsteht, wie wenn man sich an etwas überessen hat.
AntwortenLöschenEs gibt übrigens ein sehr schönes Buch dazu wie man sich fühlt, wenn man nicht sterben kann. Es ist von Simone de Beauvoir und heißt "Alle Menschen sind sterblich". Mich hat es als junge Frau sehr beeindruckt - wir haben es -
http://www.amazon.de/Alle-Menschen-sterblich-Simone-Beauvoir/dp/3499113023/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1355248699&sr=8-2