Dienstag, 11. Dezember 2012

Grau


Gestern war ein grauer Tag in vielerlei Hinsicht. Am offensichtlichsten war das Wetter. Es war unglaublich nebelig. In Philly ist es normal, dass sobald es einen Wetterumschwung ins Warme gibt, man vor Luftfeuchtigkeit gerade mal den nächsten Block seheh kann, nun gestern konnte man gerade so den eigenen Block erkennen. Es war den ganzen Tag dämmrig, was praktisch jeden müde gemacht hat. Tatsächlich war ich am Abend so mitgenommen, dass ich nicht ins Curtis gegangen bin. Angesichts meiner leichten Erkältung wahrscheinlich auch gut so.

Viel weniger offensichtlich war, die Stimmung meiner Klienten. Zwei haben absagen müssen, aus gesundheitlichen Gründen und meine erste Klientin redet nicht wirklich viel mit mir, sie will einfach nur, dass ich für sie einkaufe. Aber meine Lieblingsdame war gestern eigenwillig. Die gute Dame ist 93 und lebt alleine. Sie hat eine Tochjter, die ihre Mutter aber seit dreiβig Jahren ignoriert. Sie hat als junges Mädchen keinen Highschoolabschluss gemacht, da das für jüdische Mädchen damals ungebührlich war. Sie hat schnell geheiratet aber ihr ganzes Leben bei der Navy gearbeitet. Erst nur als Sekretaerin aber dann hat die Navy ihr die Abendschule gezahlt und sie hat Buchhaltung gelernt und dann lange als Buchhalterin gearbeitet. Mit Mitte sechzig ist sie dann in ein Apartment in Central City gezogen und hat zum ersten Mal realisiert, was in Central City alles los ist. Sie war ihr Leben lang ein Go Getter. Was sie wollte hat sie sich erarbeitet und beschafft. Sie ist überall hingelaufen egal wie weit es war und hat sich auch immer selbst versorgt. Als junges Mädchen konnte sie sich keine schicken Kleider leisten also hat sie sich selber genäht. Sie wollte immer sehr alt werden und das Leben geniessen.

Nun jetzt will sie nicht mehr alt werden. Jeden Tag wird sie schwächer sagt sie. Vor sechs Jahren musste sie einen Rollator anschaffen, da sie ohne Hilfe nicht mehr laufen kann. Ihre Beine werden jeden Tag steifer und ihre Kniee funktionieren nicht mehr richtig, sie hat kein Gefühl mehr in den Händen und hört schlecht. Das mag jetzt viel erscheinen aber sie ist geistig noch relativ fit. Natuerlich ist sie kein junger frischer Hüpfer mehr aber sie kriegt grob mit was um sie herum geschieht und denkt sich ihren Part. Heute kann sie nicht mehr gehen und sich alles holen was sie will. Sie ist zu schwach. Sie ist auf die Hilfe von anderen angewiesen. Ich bin der einzige der mit ihr aus dem Haus geht. Der Fahrstuhl schlieβt zu schnell für sie und sie kommt nicht von ihrem Stockwerk weg und das obwohl sie im zweiten Stock lebt. Aber trotz allem klagt sie nie. Sie stellt fest, dass sie nicht mehr kann setzt das aber immer in Relation zu ihrem Alter. Manchmal wird sie etwas ärgerlich, dass sie sich gewünscht hat so alt zu werden, weil sie nicht wusste was auf sie zu kommt aber sie lebt von Tag zu Tag. Sie macht eines nach dem anderen und kommt so voran, zwar langsam aber sie kriegt es meistens hin.

Gestern, vielleicht war es das Wetter, haben wir bei unserem Aufenthalt an der frischen Luft über die Feiertage gesprochen und sie meinte nur, dass sie nicht planen will, weil sie nicht weiss ob sie noch da ist. Sie meinte sie habe genug Zeit gehabt und es wäre okay wenn sie gehen würde. Die Slebstverständlichkeit mit der sie das gesagt hat, ohne Verbitterung ohne Agonie oder sonst etwas hat mich erstaunt. Es war eine nüchterne Feststellung und ich brauchte nichts sagen, da es keinerlei emotionalen Unterton hatte. Ich mag sie sehr gerne aber ich verstehe ihren Punkt. Sie hat vieles gesehen, vieles verloren, sie ist nicht mehr was sie war und das alles nimmt sie hin aber sie hat nichts mehr was sie hier hält. Sie hat 93 Jahre lang ihr Leben gelebt und in gewisser Weise abgeschlossen aber alles ohne Verbitterung. Sie hat eine Tochter auf die sie stolz ist und dass obwohl der Kontakt abgebrochen ist.

Es ist faszinierend wie unterschiedlich der Umgang mit Tod ist. Auf der Fahrt nach New York kommt man in Camden an einem Feld vorbei an dem Blumen für jedes Gewaltopfer niedergelegt werden. Es ist ein riesiges Feld voller Blüten und es hat mich tief schockiert. Jede Blume steht für ein junges Leben, dass zerstört wurde, für eine Familie die trauert. Dei Hoffnungen, Träume und Ziele dieser Menschen sind mit ihnen getötet worden. Meine Klienten dagegen haben das alles hinter sich gelassen. Die Familie weiss, dass in ihrem Alter der Tod nicht mehr weit ist. Sie selber haben ihre Träume Hoffnungen und Ziele entweder gelebt oder aufgegeben. Es ist erstaunlich wie sehr uns das Alter verändert.

Wie dem auch sei. Ich muss jetzt arbeiten. Bis dann,

Zeno

1 Kommentar:

  1. Es kommt einfach der Zeitpunkt wo man vom Leben genug hat, ein richtiger Überdruss entsteht, wie wenn man sich an etwas überessen hat.

    Es gibt übrigens ein sehr schönes Buch dazu wie man sich fühlt, wenn man nicht sterben kann. Es ist von Simone de Beauvoir und heißt "Alle Menschen sind sterblich". Mich hat es als junge Frau sehr beeindruckt - wir haben es -

    http://www.amazon.de/Alle-Menschen-sterblich-Simone-Beauvoir/dp/3499113023/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1355248699&sr=8-2

    AntwortenLöschen