Heute kam ich bei meiner Lieblingsklientin an und eine
ältere schwarze Frau hat die Tür aufgemacht. Etwas verwirrt kam ich rein und
sofort wurde mir erzählt was los war. Die Tochter meiner Klientin ist besorgt
um sie und kann nicht so häufig bei ihr sein, deswegen hat sie eine 24h Hilfe
für sie arrangiert. Alle meine Klienten verfallen zu Sehens. Bei ihr weiß ich
jetzt auch warum. Sie hat einen Herzschrittmacher und sich entschlossen, die Batterien
nicht ersetzten zu lassen, im weit fortgeschrittenen Alter von 94 auch eine
sehr verständliche Entscheidung. Der Herzschrittmacher wird jetzt immer
schwächer, genau wie sie.
Mein Klient davor klammert sich (das sind seine eigenen
Worte9 an sein Leben. Es ist das einzige was er hat. Er kann nicht mehr richtig
sehen, seine Beine sind wund und blutig, so dass er nicht mehr laufen kann und
er hört immer schlechter. Seine Medikamente machen ihn immer wieder so
unglaublich schläfrig, dass er während eines Gespräches einschläft. Vor knapp
fünf Monaten aber als ich ihn übernommen habe, da war das alles noch bei weitem
nicht so schlimm. Gelegentlich hat ihn seine Krankenschwester dazu gebracht ein
bisschen zu laufen aber inzwischen hat er selbst das aufgegeben. Er lebt
einfach nur noch vor sich hin.
Heute ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich
Menschen beim Sterben begleite. Sie werden vielleicht nicht sterben, während
ich ihr Freiwilliger bin aber das Damokles Schwert ist da und Tag für Tag rückt
es näher und Tag für Tag verlässt ihr Körper sie ein Stückchen mehr.
Ich habe vor einiger Zeit einmal das Buch „Nein. Ich will
keinen Seniorenteller“ von Virginia Ironside gelesen. Ein sehr gutes britisches
Buch über das Altern. Einmal erklärt sie, dass sie die Abneigung der Jugend
gegen das Alter verstehen kann. So gieren die Alten doch nach der Jugend und
wollen sie am liebsten verzehren um sie nochmal zu spüren. Nun diese
Ausdrucksweise ist natürlich etwas krass aber sie hat recht. Meine Klienten
sehnen sich alle nach mir, weniger weil ich eine so spannende Person bin
sondern mehr, weil ich jung bin und sie durch mich etwas Frisches, Unbeschwertes
und auch Ungebundenes spüren. Für mich gibt es keine körperlichen Begrenzungen
(naja wenige) und ich bin frei zu tun und machen was ich will. Sie wollen es
nochmal spüren. Sie wollen nicht nochmal jung sein, keiner meiner Klienten hat
das je gesagt aber sie wollen meine Jugend spüren.
Mir selbst gibt die Arbeit mit ihnen viel Ruhe. Ihr
Interesse und ihre Aufmerksamkeit schmeicheln mir und meine Woche mag im Grunde
genommen noch so langweilig gewesen sein, sie empfinden meine Geschichten als
spannend. Es zeigt mir selbst wie viel ich eigentlich erlebe und es rückt mein
Weltbild etwas gerade. Die Aufregung und Nervosität wird weniger. Es ist
faszinierend, wie tief der Einfluss der Arbeit geht ohne, dass man es selbst
realisiert.
Nun der eigentliche Grund für meine Reflektionen über diese
Themen ist der Tod einer meiner Mitfreiwilligen in den Niederlanden. Auch wenn
sie es wahrscheinlich nicht lesen werden, ich wünsche den Angehörigen,
Freunden. Mitfreiwilligen und Bekannten mein tiefstes Beileid.
Zeno
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